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Die Versorgung im Kassensystem steckt in einer tiefen Krise, die Probleme spitzen sich in allen Bundesländern zu. Die Bundeskurie der niedergelassenen Ärzte fordert unter anderem einen Krisengipfel.
„Ein Staat wie Österreich kann und muss es sich leisten, dass die Gesundheitsversorgung eine der Kernaufgaben der Bundesregierung darstellt“, eröffnete Edgar Wutscher, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte, die Pressekonferenz zur Zukunft des niedergelassenen Kassenbereichs, an der Vertreter der niedergelassenen Ärzteschaft aus allen Bundesländern teilnahmen. „Wir Standesvertreter der niedergelassenen Ärzte in ganz Österreich sind seit Wochen in besonders intensivem Austausch, in allen Bundesländern spitzen sich die Probleme immer mehr zu." Wutscher führte weiter aus: „Aktuell ist es in einigen Bundesländern so, dass die Österreichische Gesundheitskasse als Verhandlungspartner inexistent ist. Man setzt sich zwar mit uns an einen Tisch, aber angesichts des riesigen Finanzlochs kann man uns nicht einmal irgendein verbindliches Angebot vorlegen, über das wir verhandeln könnten. Daher verlange ich von der kommenden Bundesregierung ein klares Bekenntnis zum öffentlichen, solidarischen Gesundheitssystem – und zwar nicht nur in Worten, sondern auch in Taten." Wutscher forderte dringend Gespräche mit allen Beteiligten: „Ein Runder Tisch mit Sozialversicherung, Politik und Ärztekammer ist schnellstmöglich zu organisieren, um eine nachhaltige Lösung zu erarbeiten.“ Weitere Forderungen seien Soforthilfen durch den Bund zur Stabilisierung der ÖGK, eine prioritäre Behandlung der Gesundheitsversorgung in den laufenden Regierungsverhandlungen, nachhaltige Strukturreformen zur Attraktivierung der Verträge und mehr Transparenz in der Finanzgebarung der ÖGK.
Entwicklung im Keim erstickt
Dietmar Bayer, stellvertretender Bundeskurienobmann, hielt fest: „Die Ausgangslage ist klar: Unser Gesundheitssystem ist immer noch für die acht Millionen Einwohner ausgelegt, die Österreich im Jahr 2000 hatte – mittlerweile haben wir über neun Millionen Einwohner, aber immer noch fast dieselbe Anzahl an Kassenärztinnen und Kassenärzten. Unser System hatte nie die Chance mitzuwachsen, diese Entwicklung hat die Politik durch Vernachlässigung und Kostendämpfungspfade im Keim erstickt. Mit den Deckelungen und Pauschalierungen hat man das Kassensystem immer unattraktiver gemacht.“ Dazu komme eine ‚Kassenreform‘ und ‚Zusammenlegung‘, die völlig verpfuscht worden seien: „Statt von den Synergien zu profitieren – ich erinnere nochmal daran, dass uns dieses Einsparpotenzial eine versprochene ‚Patientenmilliarde‘ finanzieren hätte sollen – waren die einzigen, die davon profitiert haben, die Berater. In der Privatwirtschaft hätte so ein Missmanagement harte personelle Konsequenzen.“ Dass ÖGK-Spitzenvertreter offen das Wort ‚Konkurs‘ in den Mund nehmen würden, sei für das Vertrauen in die solidarische Gesundheitsversorgung sicher nicht hilfreich. „Man muss sich vor Augen halten, welche drastischen Folgen eine Zahlungsunfähigkeit der ÖGK hätte – für Patienten, Ärzte und das gesamte Gesundheitssystem. Es drohen Einschränkungen bei Behandlungen, längere Wartezeiten und eine steigende finanzielle Belastung für Versicherte“, so Bayer, der auch darauf hinwies, dass es gerade im Bereich der Digitalisierung noch eine Menge Potenzial gebe, „das wir endlich heben müssen. Schon bisher hat in Österreich und auch international niemand verstanden, warum sich Österreich den Luxus von drei verschiedenen IT-Firmen leistet – und in den Zeiten eines Budgetlochs noch viel weniger: Wir haben die ELGA GmbH, die SVC und die IT-SV – jede von diesen drei Firmen arbeitet an unterschiedlichen Projekten. Wir verlieren hier täglich Geld durch diese Doppelgleisigkeiten und den Abstimmungsbedarf.“ Dem müsse ein Ende gemacht werden, indem die drei Firmen endlich zusammengelegt werden. Bayer betonte auch: „Zudem kann uns der Ausbau von Digitalisierung und Telemedizin noch stark dabei helfen, das Gesundheitssystem zu entlasten.“
„3-Minuten-Medizin ist längst Realität“
Obmann-Stellvertreterin Naghme Kamaleyan-Schmied betonte: „Die Akutversorgung funktioniert aktuell mit viel persönlichem Einsatz der Ärztinnen und Ärzte gerade noch, wenn wir nicht handeln, kann auch diese nicht mehr dauerhaft garantiert werden. Auch die mangelnde Attraktivität des Kassenbereichs und die schwierige Suche nach passenden Ordinationsräumlichkeiten in einer Großstadt wie Wien sind ein gravierendes Problem. Die ‚3-Minuten-Medizin‘ ist im Kassensystem längst Realität: Ärztinnen und Ärzte sind durch die ständig wachsende Belastung und den enormen Zeitdruck am Limit. Viele von uns denken nachvollziehbarerweise darüber nach, dem solidarischen Gesundheitssystem für immer den Rücken zu kehren. Ohne eine grundlegende Aufwertung der Kassenmedizin, faire Honorare und moderne Leistungen wird es nicht möglich sein, die Ärztinnen und Ärzte langfristig im System zu halten. Ich appelliere an die Politik, jetzt im Sinne der Bevölkerung Verantwortung zu übernehmen, und an die Gesundheitskasse endlich wieder an einem Strang zu ziehen und konstruktive Gespräche aufzunehmen.“
Probleme in allen Bundesländern
Christoph Fürthauer, Vizepräsident und Kurienobmann der Ärztekammer Salzburg, unterstrich: „Das Kassensystem wird attraktiver, wenn es auch flexibler wird. Dazu gehört auch, moderne Arbeitsmodelle zu ermöglichen. Primärversorgungszentren sind eine Möglichkeit, aber ebenso können Netzwerke nicht nur in ländlich-exponierten Regionen, wie wir sie auch in Salzburg haben, eine Lösung bieten. Flexibilisierung heißt auch, auf regionale Besonderheiten Rücksicht zu nehmen. Und das bedeutet nicht nur in der Zusammenarbeitsform eine gewisse Flexibilität, sondern auch bei den Arbeitszeiten: Warum soll es nicht möglich sein, als Kassenarzt auch Teilzeit zu arbeiten? Jeder Arzt, der als Kassenarzt tätig sein möchte, sollte auch die Möglichkeit bekommen – unabhängig davon, ob er diese Tätigkeit in Vollzeit oder stundenreduziert macht. Jede besetzbare Kassenstelle ist ein Gewinn für das solidarische Gesundheitssystem.“
Max Wudy, Vizepräsident und Kurienobmann der Ärztinnen- und Ärztekammer für Niederösterreich, strich die Notwendigkeit der Medikamentenabgabe in der Ordination heraus: „Das muss man sich mal vorstellen: Der Hausarzt macht am Land noch viele Hausbesuche, diagnostiziert einen Patienten – kann aber dann nur ein Rezept für die Therapie schreiben und nicht direkt die Medikamente beim Patienten vor Ort abgeben. Das ist weder für Ärztinnen und Ärzte, noch für Patientinnen und Patienten eine zufriedenstellende Lösung. Ein eingeschränktes Dispensierrecht würde auch die Einzelordinationen wieder attraktiver machen, für Ärzte und Patienten!“ Viel bedrohlicher für alle Patienten österreichweit ist eine Entwicklung, die die Arzneimittelversorgung massiv gefährde: „Seit Jahren sind über 600 Medikamente nicht lieferbar, ein Problem, das zum größten Teil hausgemacht ist. Statt zu entschärfen, erfindet der Dachverband neue bürokratische Schikanen, wie zum Beispiel bei den Parallelimporten“, kritisierte Wudy.
Michael Schriefl, Vizepräsident und Kurienobmann der Ärztekammer Burgenland, gab zu bedenken: „Wir Kassenärzte haben immer weniger Zeit für immer mehr Patienten. Alles, was außerhalb der direkten Patientenversorgung hilft, Zeit zu sparen, ist sinnvoll. Wir können leider nach wie vor nicht alle Medikamente nach unserer medizinischen Expertise verschreiben, sondern einige Medikamente brauchen nach wie vor eine chef- und kontrollärztliche Bewilligung, das so genannte Arzneimittel-Bewilligungs-Service (ABS). Allein dieses abzuschaffen, wäre schon sehr hilfreich. Während der Pandemie konnten wir als Ärztinnen und Ärzte alle Medikamente direkt verordnen, das hatte auch keine negativen Folgen.“
Wolfgang Ziegler, Vizepräsident und Kurienobmann der Ärztekammer für Oberösterreich, hielt fest: „Das Gesundheitssystem abzusichern, heißt auch, in die Zukunft zu schauen. Umso wichtiger ist es, dass wir Maßnahmen ergreifen, damit junge Ärztinnen und Ärzte wieder gerne im Kassenbereich arbeiten. Leider passiert aktuell genau das Gegenteil, wenn wir uns die Lehrpraxisfinanzierung ansehen: Die aktuellen Förderrichtlinien schreiben vor, dass der Finanzierungsanteil der Lehrpraxen 2025 auf 25 Prozent steigt und über die weiteren Jahre weiter steigen wird. In diese neue Vorschreibung sind Vertreter der Ärztekammer nicht involviert worden. Das muss nachverhandelt werden, denn sonst werden viele Ärztinnen und Ärzte keine Lehrpraktikanten mehr ausbilden. Wir dürfen die Lehrpraxis nicht aushungern, sondern müssen sie ausbauen – indem beispielsweise die Lehrpraxisförderung auch auf Fachärztinnen und Fachärzte ausgedehnt wird.“
„Eigentlich fünf nach zwölf“
In Videobotschaften wandten sich die Vertreter aus Kärnten und Vorarlberg an das gut gefüllte Auditorium. Alexandra Rümmele-Waibel, Vizepräsidentin und Kurienobfrau der Ärztinnen- und Ärztekammer Vorarlberg, strich ein Pilotprojekt heraus: „In Vorarlberg hat die Ärztinnen- und Ärztekammer gemeinsam mit der ÖGK-Landestelle ein Pilotprojekt ins Leben gerufen. Junge Ärztinnen haben nach der Entbindung für einen gewissen Zeitraum einen Anspruch auf einen finanziellen Mutterschutzausgleich. Dies wäre als Beispiel für ganz Österreich auszurollen. Aufgrund der jetzigen finanziellen Situation der ÖGK wird dies wohl nicht möglich sein. Die ÖGK schafft es im Moment nicht einmal, die Inflation auszugleichen.“
Wilhelm Kerber, Vizepräsident und Kurienobmann der Ärztekammer für Kärnten, betonte die großen demographischen Probleme: „Die Menschen werden immer älter, brauchen immer mehr Leistungen und gleichzeitig sind die Kassenärzte in der Altersstruktur so, dass in den nächsten Jahren 50 Prozent unserer Kassenärzte in Pension gehen werden. Junge Ärzte kommen nicht in dem Ausmaß nach, weil das System nicht attraktiv ist. Wir weisen seit vielen Jahren auf diese Umstände hin und es ist jetzt eigentlich fünf nach zwölf. Wir erwarten, dass sowohl die Reform als auch die Politik endlich in die Gänge kommen.“
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