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Die Enquete „35 Jahre Psy-Diplome“ bot eine facettenreiche und kurzweilige Darstellung der Erfolgsgeschichte, aber auch ganz klare Forderungen für die Zukunft.
„Es ist ein Qualitätssprung, den unsere Psy-Diplome seit 35 Jahren in die ärztliche Versorgung einbringen“ – nicht ohne Stolz eröffnete Johannes Steinhart, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, die Enquete „35 Jahre Psy-Diplome: Psy 1, Psy 2, Psy 3 – gestern, heute, morgen“ vor einem außerordentlich gut gefüllten ÖÄK-Veranstaltungszentrum. Karl Forstner, Leiter des ÖÄK-Referats für Psychosoziale, Psychosomatische und Psychotherapeutische Medizin und Präsident der Ärztekammer für Salzburg, betonte die Vielzahl an Personen dar, die zum Erfolg der Psy-Diplome ihren Beitrag geleistet haben. Da eine Aufzählung auch nur der allerwichtigsten Persönlichkeiten den Rahmen gesprengt hätte, wurden diese mittels Videoeinblendung gewürdigt. Auch Michael Kierein von der zuständigen Abteilung im Gesundheitsministerium und Barbara Haid, Präsidentin des Bundesverbandes für Psychotherapie, bestellten ihre Grußadressen und trugen so zur Aufwertung der Enquete bei.
In der Keynote Session unter dem Vorsitz von ÖGPGG-Präsidentin Barbara Maier und ÖGPP-Präsident Martin Aigner nahm Johannes Kruse, Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Universitätsklinikum Gießen und Marburg, das Publikum mit auf eine Erkundungsreise durch die deutschen Gegebenheiten in psychosomatischer Medizin. Die Rolle der ÖÄK-Psy-Diplome als Impulsgeber für Forschung und Entwicklung arbeitete Christian Fazekas (MedUni Graz und Präsident der ÖGPPM) heraus. Zum Abschluss präsentierte Fazekas einen aktuell produzierten Videoclip. Unter dem Titel “New Ways to Understand and Measure Patient Care and Wellbeing“ wurden zwei wissenschaftliche Arbeiten zur Rolle von Psy-Ärzten während der COVID-19-Pandemie und zur sechsachsigen „Health Disc“, mit der die subjektive Gesundheit erfasst werden kann, auf anschauliche und frische Weise dargestellt.
Aus Gestern lernen
Mit Rückblick und Bestandsaufnahme tauchte die Enquete mit „Psy-Diplome gestern und heute“ unter dem Vorsitz von Evelyn Kunschitz, ÖGPPM-Vizepräsidentin und ÖBG-Präsident Hans-Peter Edlhaimb noch tiefer in die Thematik ein. Gerhard Schüssler, Leiter der ÖÄK-Psy-Diplom-Weiterbildungskommission, profunder Kenner und ab 1995 aktiver Mitgestalter der Psy-Diplom-Geschichte, stellte dar, „wie alles begann“ und wie die Entwicklung verlief. Schüssler betonte unter anderem den hartnäckigen Einsatz von Rainer Brettenthaler, der den Geburtstag dieser Erfolgsgeschichte im Auditorium mitfeierte. Der langjährige Präsident der Ärztekammer für Salzburg und später auch Präsident der ÖÄK unterstützte maßgeblich die Gegenbewegung und Reaktion auf das 1991 beschlossene Psychotherapiegesetz, in dem die ärztliche Psychotherapie „völlig verloren gegangen ist“, so Schüssler. In der Folge wurden die Überlegungen zu einer ärztlichen psychosomatischen-psychotherapeutischen Weiterbildung in der ÖGPM gesammelt. Hier und in den Vorläufer-Treffen entstanden die Erstfassungen der drei Diplome, bis 1994 wurden die Richtlinien niedergelegt.
Der Begriff „Psychotherapeutische Medizin“ gegenüber „Psychotherapie“ machte Ärzte unabhängig vom Psychotherapie-Gesetz. Auch wenn der Weg lang und oft zäh gewesen sei und trotz mancher Rückschläge, „ist das Wichtigste gelungen und die Psychosomatische Medizin und Psychotherapeutische Medizin haben in der Medizin Österreichs wieder einen festen Platz“, schloss Schüssler.
Luise Zieser-Stelzhammer, ÖÄK-Referentin für Psychosoziale, Psychosomatische und Psychotherapeutische Medizin und spiritus rector der Veranstaltung, befasste sich mit Zahlen, Daten und Fakten der Psy-Diplome. Für ein Aha-Erlebnis sorgte die Analyse der Kassenleistungen aus dem Bereich und wie diese „dank“ ihrer Deckelungen zum großen Teil am Bedarf vorbeilaufen, etwa beim psychosomatischen Diagnose- und Behandlungsgespräch. Das hat besonders schwerwiegende Folgen, denn „jeder dritte Patient in klinischen Populationen benötigt kombiniert medizinische und psychosomatische Betreuung“, führte Zieser-Stelzhammer aus.
Daniela Kern, stellvertretende Leiterin der Abteilung Psychosoziale Gesundheit in der Gesundheit Österreich GmbH, befasste sich unter anderem mit der Rolle von Psy-Diplom-Ärzten im Versorgungssystem: Ihr Fazit: Ärzte mit Psy-Diplomen seien eine gute Eintrittspforte in die psychosoziale Versorgung. Dabei betonte Kern auch die besondere Rolle als Gatekeeper und erste Anlaufstelle. Aufgrund ihres Wissens über somatische und über psychische Erkrankungen würden diese Ärzte ein optimales Verständnis für das Zusammenwirken biologischer und psychosozialer Faktoren besitzen und zudem eine Schlüsselrolle für Therapiemotivation und Weitervermittlung an psychosoziale Angebote einnehmen.
Für Morgen handeln
Unter dem Titel „Next Generation und klinischer Alltag“ (Vorsitz Edith Schratzberger-Vecsei, Vizepräsidentin der ÖGPPM und Florian Mitter, Universitätsklinikum Salzburg) wurde der Blick auch in die Zukunft gerichtet. Jörg Auer, Vorstand der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin, Kepler Universitätsklinikum Linz, arbeitete die Bedeutung der Psy-Diplome für die Fachärzteausbildung in Psychiatrie und Psychotherapeutischer Medizin heraus. Hier gäbe es Vorteile für ein vom Spitalsträger zeitlich und finanziell ermöglichtes PSY-3-Curriculum. So wäre man unabhängig vom Arbeitgeber, Lehrende seien höchstens in geringem Maß Vorgesetzte, es gäbe Methodenvielfalt und schlussendlich auch bereichernde Faktoren durch die Teilnahme verschiedener medizinischer (Fach-)Gruppen.
„Chance und Bürde einer biopsychosozialen Herangehensweise in einem hochspezialisierten Gesundheitssystem“ lautete der Vortrag von ÖGPAM-Mitglied Reingard Glehr (MedUni Graz). Sie betonte die Rolle der Allgemeinmedizin durch ihren generalistischen Ansatz als Schlüssel im Medizinsystem. Durch einen verstärkten biopsychosozialen Ansatz könnte das Gesundheitssystem langfristig profitieren, etwa durch Vermeidung von Überdiagnostik, Übermedikalisierung, stationären Aufenthalten und Langzeitkrankenständen. Klar sei aber, dass der Faktor Zeit im Gegensatz zur Frequenzmedizin Kosten verursache. Nötig sei daher eine Umorientierung des primär biologisch orientierten Gesundheitssystems mit zusätzlichen Ressourcen in Ausbildung, Diagnostik, Therapie und Gesundheitskompetenz.
Barbara Hasiba, Präsidentin der ÖGPAM, formulierte in ihrem Vortrag über die „Zukunft der Psy-Diplom-Weiterbildung“ wesentliche Forderungen wie etwa die Gleichwertigkeit der ärztlichen PSY-Weiterbildung und der Ausbildung nach dem neuen Psychotherapiegesetz. Hier soll im Psychotherapiebeirat, in dem die ÖÄK ja nun mit drei Nominierten vertreten ist, dazu ein Gutachten erstattet werden. Weiters stellte Hasiba weitergehende Überlegungen auf, wie eine Neuregelung der Sonderfachgrenzen, eine österreichweite Liste mit den Anbietern von ärztlicher Psychotherapie sowie eine generelle Stärkung der biopsychosozialen Medizin, etwa durch eine Erweiterung der ärztlichen Ausbildung um Psy 1–Kompetenz und natürlich eine adäquate Honorierung.
Mit „Psy 1, 2, 3“ – Kaleidoskop” fand Edith Schratzberger-Vecsei noch einen ungewöhnlichen Zugang zur Thematik: Mittels Aufstellungen im Raum nach lokalen und inhaltlichen Dimensionen wurde der Facettenreichtum der Psy-Diplom-Inhaber plastisch dargestellt.
Mehr Psy-Diplome braucht das Land
Den Abschluss bildete die Podiumsdiskussion „Psychosomatische Medizin 5.0 – aktuelle gesundheitspolitische Herausforderungen” mit Barbara Hasiba, Miriam Hufgard-Leitner, Vorstandsmitglied ÖGPIM, dem aktuellen ÖGK-Obmann Andreas Huss, Evelyn Kunschitz, Vizepräsidentin der ÖGPPM, Georg Weinländer, Ärztlicher Leiter des Departments für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am LKH Hohenems, und ÖÄK-Vizepräsident und Obmann der Bundeskurie niedergelassene Ärzte, Edgar Wutscher. Im Fokus stand auch hier der große Wert des ärztlichen Gesprächs und wie wenig dieser im Gegensatz dazu im kassenärztlichen Bereich abgebildet wird. Besonders die großen Bundeslandunterschiede bei der Abrechungsmöglichkeit von Psy-3-Leistungen in der Allgemeinmedizin sorgten für hörbaren Unmut im Publikum. Mit einer vorweihnachtlichen Wunschrunde für die Enquete „70 Jahre Psy-Diplome“ endete eine kurzweilige und gelungene Veranstaltung. Einigkeit bestand, dass dann noch deutlich mehr Ärzte über Psy-Diplome verfügen sollten. „Alle!“, formulierte Zieser-Stelzhammer als ambitioniertes Ziel. (Sascha Bunda – aus ÖÄZ 22/24)
Hinweis: Die Veranstaltung kann auf dem YouTube-Kanal der Österreichischen Ärztekammer in voller Länge nachgesehen werden.