Anlässlich des Jubiläums 35 Jahre Psy-Diplome identifizierte die ÖÄK große Potenziale im ärztlichen Gespräch und forderte die Gesundheitspolitik zu entsprechenden Maßnahmen auf.
„Es ist nun 35 Jahre her, dass die Österreichische Ärztekammer 1989 die Diplome für Psychosoziale, Psychosomatische und Psychotherapeutische Medizin ins Leben gerufen hat, um den vielschichtigen biopsychosozialen Zusammenhängen in der Medizin gerecht zu werden. Damit hat eine Erfolgsgeschichte begonnen“, sagte Johannes Steinhart, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, anlässlich der heute stattfindenden ÖÄK-Enquete „35 Jahre Psy-Diplome: Psy 1, Psy 2, Psy 3 – gestern, heute, morgen“. „Mit dieser festlichen Veranstaltung feiert die ÖÄK den Meilenstein, für den sie 1989 den Grundstein gelegt hat“, so Steinhart, der den Erfolg mit Fakten belegte:
- Heute haben fast 3.000 Ärztinnen und Ärzte das Diplom Psychosoziale Medizin (Psy1), das als Basisausbildung die ärztliche Grundhaltung der so genannten empathischen Resonanz in der Arzt-Patient-Beziehung vermittelt und Gesprächs- und Kommunikationskompetenz schult.
- Knapp über 2.100 Ärztinnen und Ärzte besitzen das Diplom Psychosomatische Medizin (Psy2), das professionelle Beziehungsaspekte und spezielle biopsychosozioökologische oder: bio-psycho-soziale gesundheitliche Momente in die Behandlung einbezieht.
- Fast 1.500 Ärztinnen und Ärzte haben das Diplom Psychotherapeutische Medizin (Psy3), das die volle psychotherapeutische Kompetenz zur selbständigen Ausübung von psychotherapeutischer Medizin im Rahmen der ärztlichen Tätigkeit umfasst und zur psychotherapeutischen Diagnostik, Betreuung und Behandlung von Patienten befähigt.
„Dieser dreistufig geführte Aufbau der Weiterbildung ist sicher einer der Schlüssel zum Erfolg“, hielt Steinhart fest. Die flexible Gestaltung spreche Ärztinnen und Ärzte aus allen Fachbereichen an, jede und jeder könne so das erlernte Wissen genau an die persönlichen Anforderungen und Bedürfnisse anpassen. Denn Ärztinnen und Ärzte würden sich in allen medizinischen Fächern komplexen biopsychosozialen oder psychosomatischen Problemstellungen gegenübersehen, sagte der ÖÄK-Präsident, der selbst alle drei Diplome absolviert hat. „Auch deshalb bin ich persönlich ein großer Anhänger dieser Diplome, weil die Mehrzahl an Krankheiten ja nicht nur körperliche, sondern auch psychische Komponenten haben“, sagte Steinhart.
Daher setze sich die Österreichische Ärztekammer auch sehr für die Aufwertung des ärztlichen Gesprächs und der Gesprächsmedizin ein. „Mehr Zeit für die Patienten bedeutet vor allem im Kassenbereich nicht nur höhere Zufriedenheit mit dem Beruf, sondern bringt auch Patientinnen und Patienten einen großen Zusatznutzen“, hielt Steinhart fest. Schließlich könne man hier umfassender ansetzen und auch präventiv besser arbeiten. „Das aktuelle Kassensystem mit seinen Deckelungen gerade bei den Aufklärungsgesprächen steht für das völlige Gegenteil – daher fordern wir hier dringend einen Kurswechsel.“
Anerkennung des Gesprächs als unverzichtbare ärztliche Behandlungsleistung
„Wissens- und Kompetenzzuwachs der Medizin, ihre Handlungshorizonte und ihre messbaren Erfolge sind unzweifelhaft beeindruckend“, unterstrich Karl Forstner, Leiter des ÖÄK-Referats für Psychosoziale, Psychosomatische und Psychotherapeutische Medizin und Präsident der Ärztekammer für Salzburg. Aus diesen Entwicklungen, getrieben von naturwissenschaftlichen, technischen und digitalen Transformationen ergebe sich nahezu zwangsläufig eine immer weiter fortschreitende Spezialisierung ärztlicher Berufsfelder. „Sosehr die konkrete Umsetzung dieser Differenzierungsschritte von der Standesvertretung auch unterstützend begleitet wird, verursacht diese Entwicklung in der Ärzteschaft auch Unbehagen und Kritik“, konstatierte Forstner. Die immer stärkere Fokussierung auf immer engere Problemstellungen scheine zunehmend die gesamtheitliche Patientenzentrierung zu beeinträchtigen.
„Diese strukturbedingte Gegebenheit ist durch den in vielen Bereichen unheilvoll empfundenen Zeitdruck überlagert und verstärkt. Dieser auch für Patientinnen und Patienten spürbare Zeitdruck widerspricht offensichtlich und verständlicherweise aber vor allem auch deren Erwartungen nach einer zugewandten Medizin. So ist die Forderung der Standesvertretung nach substanziell vermehrter Anerkennung des Gesprächs als unverzichtbare, essentielle ärztliche Behandlungsleistung nicht nur ein Thema von ärztlichen Honoraren, sondern für Patienten Voraussetzung für Zufriedenheit mit der Medizin und für die Ärzteschaft in der Medizin“, postulierte Forstner.
Die höhere Bewertung des ärztlichen Gesprächs und ein Mehr an Zeit für das ärztliche Handeln seien natürlich mit Kosten verbunden, hielt Forstner fest: „Aber diese Investitionen würden sich von selbst tragen, weil durch die so optimierte Behandlung Patientinnen und Patienten schneller und nachhaltiger gesunden. Das entlastet das System wieder – wir können also kostenneutral eine grundlegende Verbesserung für alle Systempartner erreichen.“
„Leistung ist durch angemessene Honorierung wertzuschätzen“
„Die wissenschaftlich belegte Erkenntnis wird in der Versorgung noch immer weitgehend ignoriert“, stellte Luise Zieser-Stelzhammer, ÖÄK-Referentin Psychosoziale, Psychosomatische und Psychotherapeutische Medizin, klar. Es bedürfe frühzeitig der kombiniert ärztlichen wie psychosomatisch psychotherapeutischen Betreuung, um Belastungen und Chronifizierungen zu verhindern. „Psy-Diplom-Ärztinnen und -Ärzte verfügen über diese ärztliche psychosoziale, psychosomatische und psychotherapeutische Kompetenz. Dieser niederschwellige ärztliche Zugang in der Versorgung verringert direkte und indirekte Gesundheitskosten“, schildete Zieser-Stelzhammer einen großen Vorteil.
Auch das ÖÄK-PPP-Referat trete für den Ausbau und die Verbesserung dieses hochqualifizierten, gesprächsmedizinischen Versorgungsbereiches ein. „Die in der ÖÄK-Psy-Diplom-Weiterbildung gelehrte individuelle Gesprächs- und Beziehungsgestaltung zwischen Arzt/Ärztin und Patient/Patient ist von zentraler Bedeutung für die Genesung und Entwicklung von Selbstheilungskompetenzen. Die Leistung motivierter Ärztinnen und Ärzte, welche diesen Weiterbildungsweg auf sich nehmen, ist durch angemessene Honorierung im Gesundheitssystem wertzuschätzen“, betonte Zieser-Stelzhammer.
Gleich zu Behandlungsbeginn in der ärztlichen Praxis sei der psychosoziale und psychosomatische Aspekt zu beachten, denn der weitere Verlauf der Erkrankung werde von der ärztlichen Verhaltensweise beeinflusst. „Bei Psy-Diplom-Ärztinnen und -Ärzten erfolgt gleichzeitig und gleichwertig eine körperliche und psychosomatisch psychotherapeutische Diagnostik und Therapie, wie sie von anderen Gesundheitsberufen aufgrund fehlender medizinischer Kompetenz nicht wahrgenommen werden kann“, unterstrich Zieser-Stelzhammer. Den validen klinischen Leitlinien entsprechend, seien Psy-Diplom-Ärztinnen und -Ärzte fachlich geschult, die initiale Grundversorgung, die erweiterte Grundversorgung und die psychotherapeutisch medizinische Betreuung zu gewährleisten und Kooperationen mit anderen Gesundheitsberufen bei Bedarf gezielt zu nützen.
International werde zunehmend die Forcierung und Verankerung evidenzbasierter psychosozialer, psychosomatischer und psychotherapeutischer Medizin in der primären ärztlichen Versorgung gefordert.
„Ärztliches Gespräch ist und bleibt der Schlüssel“
„Die gemeinsame Beachtung biologischer und psychosozialer Faktoren führt bei rund 4 von 10 Patientinnen und Patienten zu besseren medizinischen Ergebnissen. Die Wichtigkeit des ärztlichen Gesprächs erfordert es, ärztliche Gespräche als Kernprozesse in der Medizin anzuerkennen und dafür die geeigneten Rahmenbedingungen sicherzustellen“, hielt Christian Fazekas, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin (ÖGPPM), fest.
Die Evidenz für das Zusammenwirken biologischer und psychosozialer Faktoren sei überwältigend. So erhöhe beispielsweise Einsamkeit das Risiko für Herzerkrankungen und führt zu einer verkürzten Lebenserwartung. Ebenso spiele der Bildungshintergrund bei der Lebenserwartung in Österreich eine wichtige Rolle. „Für die strukturierte Mitbeachtung psychosozialer Faktoren ist es erforderlich, zukünftig bei allen Patientinnen und Patienten die Möglichkeit psychosozialer Risikofaktoren in Betracht zu ziehen. Für den Patienten bzw. die Patientin ist und bleibt das Gespräch mit der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt der Schlüssel, um sich öffnen, anvertrauen, mitteilen und die patientenzentrierte Diagnostik und Behandlung gut und verlässlich mittragen zu können“, so Fazekas.
Vor dem Hintergrund der aktuellen Herausforderungen im Gesundheitssystem sei es wichtig, hierbei kurz-, mittel- und langfristige strategische Schritte zu setzen. „Die ÖGPPM tritt anlässlich der 35 Jahre ÖÄK-PSY-Diplome dafür ein, vorerst den aktuellen Belastungen der Menschen in den Gesundheitsberufen gezielt entgegenzuwirken“, unterstrich Fazekas und formulierte drei wesentliche Schritte:
- Im ersten Schritt soll die Gesundheit der Menschen in den Gesundheitsberufen stärker in den Blick genommen werden. Menschen in den Gesundheitsberufen sollen selbst in die Lage versetzt werden, ihr eigenes gesundheitskompetentes Know-how auch für sich selbst nützen zu können.
- Zudem soll in allen gesundheitspolitischen Entscheidungen, dem Kernprozess „Ärztliches Gespräch“ jener Stellenwert zuerkannt werden, der es ermöglicht, dieses auch qualitätsvoll umzusetzen.
- Zudem sollten die Möglichkeiten der Digitalisierung vermehrt auch dafür genützt werden, dass Patientinnen und Patienten den Nutzen der Behandlung sowie ihrer gesundheitsförderlichen Aktivitäten besser nachvollziehen können und auf eigenen Wunsch die Möglichkeit erhalten, Daten zu Ihrer Person und Situation ihren Behandlerinnen und Behandlern digital zur Verfügung zu stellen